Nagla Fathi, Sudan | Sudanese Culture House

Text Fabiana Seitz, Fotos Jenny Milow

„Bis vor kurzem habe ich in Härkingen gewohnt. Ein hübsches kleines Dorf am Fuss des Solothurner Juras. Das Leben in Härkingen ist ruhig, die Menschen freundlich. In der Bäckerei oder in der Zumba-Klasse kam immer wieder die Frage auf: ‚Aber säg mal, Nagla, vo wo bisch denn du genau?’ Denn nur wenige Menschen kennen meine Heimat, den Sudan. Genau das will ich ändern.

Ich kam in Saudi Arabien zur Welt. In Katar ging ich zur Schule, im Sudan besuchte ich die Universität. In Abu Dhabi schliesslich blieb ich für fünfzehn Jahre. Dort habe ich gearbeitet, geheiratet und meine Kinder zur Welt gebracht. Meine drei Söhne sind mein ganzer Stolz, mein Ein und Alles. Als die Ehe in die Brüche ging, hatte ich schreckliche Angst, sie zu verlieren. Da mein Ex-Mann nach Saudi Arabien zog, gilt das dortige Gesetz und er hätte auf das alleinige Sorgerecht appellieren können. Ich wollte meine Kinder schützen und ihnen das bestmögliche Leben bieten. Aus diesem Grund zogen wir 2015 in die Schweiz.

Es ist mir wichtig, dass meine Kinder verstehen, dass man viel erreichen kann. Auch wenn es schwierige Momente geben kann, durch harte Arbeit und mit einem Ziel vor Augen bringt man es weit. Vor kurzem habe ich endlich eine Festanstellung gefunden, als Anlagenführerin bei einem grossen Unternehmen, das technische Produkte für die Bauindustrie herstellt. Das entspricht zwar nicht ganz meinem Universitätsabschluss in Computerwissenschaften, aber ich bin sehr glücklich darüber. Nun kann ich mein eigenes Geld verdienen und mich für die B- Aufenthaltsbewilligung bewerben. Ich arbeite viel, aber ich möchte unbedingt Zeit finden, um mein Deutsch zu verbessern. Es ist mir wichtig, unabhängig zu sein und eigene Entscheidungen zu fällen.

An so vielen Orten habe ich bereits gelebt, doch meine Verbundenheit mit dem Sudan ist gross. Immer wieder freue ich mich auf die Treffen mit meinen sudanesischen Freundinnen. Wir sehen uns zum Beispiel in einem Park zum Picknick und diskutieren, wie wir uns gegenseitig unterstützen können. Es ist so schön, wenn man sich nicht alleingelassen fühlt!

Ich träume davon, das Essen, die Musik, das Handwerk, die Kultur und die Traditionen meiner Heimat auch anderen vorzustellen und interkulturelle Begegnungen in der Schweiz zu ermöglichen. Ich will einen Ort schaffen, wo jeder und jede willkommen ist – egal welche Nation, welches Alter, welches Geschlecht: das Sudanese Culture House. Meine wunderbaren HelferInnen und ich sind immer noch auf der Suche nach einem geeigneten Gebäude, voraussichtlich in Basel, doch den ersten Erfolg konnten wir bereits verzeichnen: Es brauchte acht Monate und unheimlich viel Papierkram, aber wir sind nun offiziell als Verein unter dem Namen Sudanesische Migrant*innen eingetragen! Leider machte uns der Coronavirus einen Strich durch die Rechnung. Es ist momentan schwierig, Aktivitäten oder Veranstaltungen durchzuführen. Doch wir lassen uns nicht entmutigen und planen bereits für die Zukunft.

Das Leben in Härkingen war schön, aber es war doch etwas eng. Wir teilten uns zu viert zwei Schlafzimmer. Meine Söhne sind nun 19, 17 und 12 Jahre alt. Es ist Zeit, dass sie ein eigenes Zimmer bekommen. Mit meinem Lohn können wir uns endlich eine eigene Wohnung in Hägendorf leisten. Wir sind zufrieden in der Schweiz – doch ich wünsche mir, dass meine Söhne den Sudan in ihrem Herzen tragen. Und verstehen, dass wir alle, egal woher wir stammen, Menschen sind.“

November 2020

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